Die (ir-)reale Dimension des Augenblicks

Begonnen hat’s, so viel blieb mir in Erinnerung, anlässlich ein paar Ferientagen in Lugano. Mein Bruder gab mir seine Konica mit einem Tokina-Drehzoomobjektiv 80-200 mm in die Hände. Raus damit. Und irgendwie fuhr ein Blitz ein, gleichsam unbemerkt wie deutlich spürbar: Fotografieren würde inskünftig ein Teil meines Lebens. Rund 40 Jahre sind es her seit diesem ungewöhnlichen Startschuss. Angefangen als lupenreiner Amateur. Knipsen, was knipsbar schien. Gepröbelt mit allem, was irgendwie das Bild besser, kreativer machen sollte. Jene Trickfilter gekauft – das Aussergewöhnliche sollte es sein. Und so nach und nach zerfällt der Wert des optisch Künstlichen mit dieser Aufforderung: lerne zuerst mal das ABC.

 

Markt

 

Nach neun Jahren Grund- und weiteren vier Jahren Berufsschule war mir klar: nie mehr in eine Schulbank sitzen und den Kopf mit Theorien füllen. Nur einmal besuchte ich einen Kurs über Porträtfotografie – ansonsten: Fotografieren lernt man durch Fotografieren. Auch Schwimmen lernt man im Schwimmbecken und nicht an dessen Rand. Autodidaktisch tätig zu sein, bringt zwangsläufig dies mit sich: Enttäuschungen. Vorstellungen und Tatsächliches waren zuweilen so weit auseinander, dass man die Kamera für einen Monat beiseite legte. Dies im Wissen: Das Fieber kommt wieder. Lernen durch Fehler – wie sonst sollen individuelle Fortschritte möglich sein? Wenn immer alles glatt läuft, kommt so ab und zu diese Meinung auf: ich bin gut. Nein – ich bin nicht gut. Gemachte Fehler sind die einzigen objektiven Korrekturfaktoren.

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Nehmen und dennoch unberührt lassen

 

Bald schon richtete mir mein Vater eine Art Dunkelkammer ein. Unten, im Keller des Elternhauses. Ohne Heizung. Fenster abdecken. Auch hier: lernen und lernen und lernen. Von null nicht auf hundert, sondern höchstens auf zwanzig. Meine erste eigene Wohnung bezogen, musste die Besenkammer herhalten. Stunden-, tagelange Pröbeleien mit Filmen und Papieren. Im Sommer bei über 30 Grad Celsius, im Winter höchstens deren zehn. Hab nicht gezählt, wie mache Filme beim Entwickeln zu lang oder zu kurz in der Sosse hingen und unbrauchbar waren.

 

H-ttnersee

 

Egal – mit Sack und Pack wieder raus. Vor allem in die Natur. Und so nach und nach, auch mit gewonnener Sicherheit, spielte sich dort Eigenartiges ab. Meditative Empfindungen gingen so weit, dass mir die Begegnungen mit den zu fotografierenden Objekten durchaus umgekehrt vorkamen: nicht ich suchte die Elemente, sondern sie mich. Knips von da und knips von dort, eingebunden in eine andere Welt des Wahrnehmens. Man «nimmt» etwas von der Natur und belässt die Motive dennoch unberührt. Nach und nach stellt sich ein «anderes» Sehen ein. Dieser magischen Welt unfreiwillig ein Opfer dargebracht: Bei einem Objektivwechsel liess ich im Flussbett der Sihl eine lichtstarke 50-mm-Linse auf einem Stein liegen. Erst zu Hause gemerkt, dass dieses Teil fehlte.

 

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Junger-Fussballer

 

Faszination Sportaufnahmen

 

Nebst der Stille bei Naturaufnahmen faszinierten und faszinieren mich immer wieder Sportbilder. Menschen in deren Bewegungsablauf «einzufrieren» ist zwar völlig unnatürlich, eröffnet aber eine ganz eigenartige, (ir-)reale Dimension des Augenblicks. Szenen aus in all den Jahren mehr als 2000 Fussballspielen fanden den Weg auf Film oder Speicherkarten. Hinzu kamen Fotobesuche von Schwingfesten, Leichtathletik-Veranstaltungen, Eishockey, Turnen, Radrennen, Volleyball und auch – am schwierigsten einzufangen – Faustball.

 

Die monetäre Seite des Hobbys hat mich eigentlich nie interessiert. Erst als Schriftsetzer, zuletzt – vor der Pensionierung – während 14 Jahren als Sportredaktor der Ausserschwyzer Lokalzeitungen «March-Anzeiger/Höfner Volksblatt» tätig, blieb mir immer genügend Geld, um entsprechende Anschaffungen tätigen zu können. Indes war und ist der Kampf um entsprechende Honorare für Zeitungsabdrucke ein nie endender. Wie manchmal ich drauflegte, hab ich nicht gezählt. Zu Beginn erhielt ich für zehn Stunden Arbeit (Fotos und Text) 80 Franken; Kilometerentschädigung gabs keine, Wurst, Brot und ein kleines Bierchen gingen bitteschön auf die eigene Kappe. Wenn du für eine Reportage nach Chiasso oder Kreuzlingen oder gar Delémont fährst, ist das vermeintliche Honorar ein «honorig» kleiner Anteil ans Defizit.

 

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Von Honoraren und Unbezahlbarem

 

Das Betteln um eine einigermassen angemessene Entschädigung offenbarte aber auch dies: Der monetäre Wert der Fotografie hat nach und nach eingebüsst. Heute kann jede(r) knipsen. Dass jede Qualität ihren Preis hat und haben muss, interessiert nicht mehr gross. Fotografen produzieren austauschbare Wegwerfprodukte – ergo hat auch deren Arbeit an Wert verloren. Am besten sind Pauschalpreise: pro Bild 40 Franken. Egal, ob man dafür eineinhalb oder zehn Stunden aufwendet. Daran wird nicht gerüttelt, weil eine Individualbeurteilung einen Mehraufwand an Arbeit bedeutete.

 

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Umgekehrt jedoch auch hier: Auf der anderen Seite der Medaille steht eine wortwörtlich unbezahlbare Menge an Erfahrungen, an persönlichen Erlebnissen und Kontakten, an Freuden und Enttäuschungen – schlichtweg eine grosse Summe an Weiterbildung, die in all den Jahren einen entsprechenden Eigenwert erhält. Und wie überall gilt auch in der Fotografie: Das Erleben muss in Kopf, Herz und Körper übergehen, wenn es nachhaltigen Bestand haben soll. Wer im eigenen Garten keine Fotosujets findet, wird auch in Australien keine finden. Oder auch: Herzblut besteht wortwörtlich aus Herz und Blut.

 

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Wald

 

Text und Bilder von Bruno Füchslin | E-Mail | Webseite | Fotogalerie

 

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